Neue Zürcher Zeitung Dienstag, 26. Juni 2001

Lieber etwas schwerer und dafür fit

Stabilisierung des Gewichts anstreben

Das Fettgewebe ist metabolisch hoch aktiv und produziert, proportional zur Menge der Fettzellen, verschiedenste hormonell aktive Substanzen. Diese Mediatoren werden angeschuldigt, die Entstehung der typischen Zivilisationskrankheiten zu fördern.

Die Mechanismen, die bewirken, dass Übergewicht ein Risikofaktor für die Entwicklung chronischer Krankheiten wie des Diabetes mellitus oder der koronaren Herzkrankheit darstellt, sind bisher nicht im Einzelnen bekannt. Heute weiss man aber - entgegen früheren Theorien -, dass das Fettgewebe keine inerte Masse darstellt. Die Fettzellen sind im Gegenteil hoch aktiv und produzieren verschiedenste Hormone und Mediatoren wie beispielsweise Leptin, Zytokine oder Angiotensinogen, die unter anderem den Blutdruck, die Verteilung der Blutfette sowie den Blutzuckerspiegel beeinflussen. Angiotensinogen beispielsweise, eine der wichtigsten gefässverengenden Substanzen, ist eine der Ursachen des typischerweise bei Übergewicht beobachteten Bluthochdrucks. Dieser wiederum erhöht das Risiko, ein Herz-Kreislauf-Leiden zu entwickeln. Da zwischen der Konzentration dieser Fettgewebehormone und der Masse des Fettgewebes eine lineare Beziehung besteht, sollte es Ziel sein, ein Zuviel an Fettgewebe zu vermeiden.

Entsprechend vermag eine bleibende Gewichtsreduktion von nur wenigen Kilogramm den Blutzuckerspiegel oder den Blutdruck schon deutlich zu verbessern. Allerdings haben mehr als 80 Prozent der übergewichtigen Patienten bereits wenige Monate nach einer Diät ihr ursprüngliches Gewicht wieder erreicht - oder wiegen gar noch mehr. Da ausserdem das Körpergewicht mit zunehmendem Alter kontinuierlich ansteigt, das Alter aber per se der wichtigste «Risikofaktor» für die Entstehung chronischer Leiden ist, kommt es zu einem eigentlichen Teufelskreis. Die amerikanischen «NHANES»-Studien zeigten denn auch, dass das Diabetes-Risiko übergewichtiger Personen mit jedem zugenommenen Kilogramm Körpergewicht ansteigt - was über 10 Jahre einer Verdoppelung des Risikos entspricht, verglichen mit übergewichtigen Personen, deren Körpergewicht konstant bleibt. Dagegen führte die jährliche Reduktion des Körpergewichts um ein Kilogramm (entsprechend einem täglichen Kalorien-«Defizit» von rund 20 Kalorien) in demselben Zeitraum zu einer Verminderung des Diabetes-Risikos um ein Drittel.

Aber auch die Gefahr, ein anderes chronisches Leiden wie beispielsweise eine koronare Herzkrankheit zu entwickeln, wird durch Veränderung bzw. Stabilisierung des Gewichts erheblich beeinflusst. So haben Berechnungen gezeigt, dass die Last durch chronische Krankheiten vernachlässigbar klein wäre, wenn es allen Personen einer Bevölkerung gelingen würde, das Gewicht wenigstens auf dem aktuellen Niveau - und zwar unabhängig vom jeweiligen Gewicht - zu halten. Dass dieses Szenario leider illusorisch ist, belegt eine Studie der Lungenliga Zürich mit mehr als 30 000 im Kanton Zürich wohnhaften Personen, die zwischen dem 20. und dem 60. Lebensjahr durchschnittlich gut 10 Kilogramm zulegten - was einer positiven Energiebilanz von kaum 5 Kilokalorien pro Tag entspricht! Diese Berechnung, wenn auch nicht ganz korrekt, macht doch deutlich, dass die oben erwähnte Gewichtszunahme theoretisch durch einen minimalen täglichen Energieüberschuss bedingt ist und somit problemlos kompensiert werden könnte; am erfolgversprechendsten mit einer Kombination von vermehrter körperlicher Aktivität (z. B. konsequentem Treppensteigen) und geringfügig weniger Nahrung (z. B. kleinere Portionen oder längere Abstände zwischen den Mahlzeiten).

Der körperlichen Aktivität kommt dabei eine noch grössere Bedeutung zu als der Gewichtsreduktion. Denn einerseits erhöht sich dadurch der Energieverbrauch, andererseits erreicht man so einen Zustand der «metabolischen Fitness»: die Blutzucker- und Insulinspiegel werden gesenkt und die Blutfettwerte verbessert, was vor allem der Gesundheit des Herz-Kreislauf-Systems zuträglich ist. Entsprechend hat eine übergewichtige, jedoch körperlich aktive Person ein günstigeres Risikoprofil als eine zwar 5 bis 10 Kilogramm leichtere, dafür jedoch körperlich träge Person.

Paolo M. Suter, Privatdozent für Innere Medizin an der Universität Zürich und Leiter der Hypertonie-Sprechstunde der Medizinischen Poliklinik des Universitätsspitals.

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